Privatschriftliches Nachlassverzeichnis versus notariellem Nachlassverzeichnis
18.04.2024
BGH (I. Zivilsenat), Beschluss vom 07.03.2024 – I ZB 40/23
Pflichtteilsberechtigte haben zu Beginn der Durchsetzung ihrer Pflichtteilsrechte häufig den Nachteil, dass ihnen das Nachlassvermögen nicht oder nur teilweise bekannt ist. Ohne den Nachlasswert lässt sich jedoch weder der Pflichtteilsanspruch noch der Pflichtteilsergänzungsanspruch ermitteln. Vor diesem Hintergrund haben Pflichtteilsberechtigte weitreichende Auskunftsansprüche gegen die eingesetzten Erben nach § 2314 Absatz 1 BGB. Dabei kann Auskunft entweder durch ein privatschriftliches Verzeichnis oder durch ein notarielles Verzeichnis erteilt werden. Die Entscheidung darüber trifft der Pflichtteilsberechtigte. Häufig stellt sich dabei die Frage des tatsächlichen Mehrwerts eines notariellen Nachlassverzeichnisses, wobei es hierbei entscheidend auf den Umfang der Nachforschungspflicht des Notars ankommt. Der Bundesgerichtshof hat in einer jüngeren Entscheidung hierzu festgestellt, dass den Notar einerseits bei der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses ein weiteres Ermessen zusteht, er jedoch die Sorgfalt eines objektiven Dritten zu beachten habe.
Stufenklage der enterbten Enkelinnen
Im entschiedenen Fall machten zwei Enkelinnen gegen die eingesetzte Erbin Pflichtteilsrechte im Wege einer Stufenklage vor dem Amtsgericht Bonn geltend, da sie von der Erblasserin durch notarielles Testament enterbt wurden.
Dementsprechend sollte die Erbin zunächst ihre Auskunftspflicht erfüllen und nach erfolgter Auskunft eine Zahlung leisten. Die Auskunft sollte durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses erfolgen. Die Erbin erkannte ihre Pflicht zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses an. Daraufhin erteilte die Erbin Auskunft mittels Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Die pflichtteilsberechtigten Klägerinnen hielten das Verzeichnis für unzureichend. Im weiteren Verlauf des Verfahrens klärte das Gericht die Frage, ob die Pflicht zur Vorlage des Verzeichnisses erfüllt wurde oder nicht.
Das Landgericht Bonn gelangte zu der Auffassung, dass die Pflicht nicht erfüllt sei, da das notarielle Nachlassverzeichnis offensichtlich unvollständig sei, weil die Erbin dem von ihr beauftragten Notar nicht die Zustimmung zur Einholung weiterer Auskünfte gegenüber den bekannten Banken erteilt habe und dadurch ihre Pflicht zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses verletzt habe. Dem kam die Erbin anschließend nach. Das dementsprechend von der Erbin nachgebesserte Verzeichnis lehnten die Pflichtteilsberechtigten gleichwohl ab und verfolgten ihre Ansprüche weiter im Vollstreckungsverfahren, da nach ihrer Ansicht das ergänzte Verzeichnis in rechtswidriger Weise keine Angaben zu weiteren Konten bei anderen Banken sowie zu lebzeitigen Schenkungen der Erblasserin enthielt.
Das Vollstreckungsgericht lehnte diese Argumentation ab. Der Bundesgerichtshof musste den Fall entscheiden.
Machtwort des Bundesgerichtshofes
Der Bundesgerichtshof führte aus, dass ein notarielles Nachlassverzeichnis nach § 2314 Absatz 1 Satz 3 BGB idealerweise eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das Privatverzeichnis des Erben bieten solle. Der Notar sei verpflichtet, den Nachlassbestand selbst und eigenständig zu ermitteln. Bei der Ausgestaltung handele er nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen. Ausgangspunkt sind in der Regel die Angaben des Erben / der Erbin, jedoch darf der Notar sich nicht allein hierauf beschränken. Beim Grad der Nachforschungen ist die Sorgfalt eines objektiven Dritten maßgebend. Der Erbe ist erforderlichenfalls an der Mitwirkung verpflichtet und muss neben Auskünften auch entsprechende Zustimmungen zur Auskunftseinholung gegenüber Dritten erteilen.
Weiter führt das Gericht aus, dass dann, wenn ein notarielles Verzeichnis vorgelegt werde, die Auskunftspflicht generell erfüllt sei und eine Berichtigung oder Ergänzung nicht geschuldet sei. Ausnahmen hiervon sind in der Rechtsprechung anerkannt, beispielsweise wenn der Notar sich vollständig darauf beschränkt hat, die Angaben des Erben wiederzugeben, ganz ohne eigene Ermittlungen anzustellen oder wenn die Auskunft sich auf die Wissenswiedergabe beschränkt, obwohl in zumutbarer Weise weiteres fremdes Wissen hätte verschafft werden können.
Kein Ausnahmetatbestand – keine Ergänzung des Nachlassverzeichnisses
Für die Richter stand nach der Prüfung der Sach- und Rechtslage fest, dass den Notar keine Pflicht traf, weitere Konten zu ermitteln, die nicht bereits im Nachlassverzeichnis enthalten waren. Ohne nähere konkrete Anhaltspunkte sei der Notar nicht dazu verpflichtet, Ermittlungen bei allen Banken anzustellen. Die bloße Vermutung genüge nicht.
Die Pflichtteilsberechtigten konnten das Gericht auch nicht davon überzeugen, dass die Erbin sich fremdes Wissen – trotz Zumutbarkeit – nicht hinreichend verschafft habe, da auch insoweit keine konkreten Anhaltspunkte vorgelegen haben.
Auf den richtigen Antrag kommt es an!
Besonders bitter wurde es für die Klägerinnen, dass der Bundesgerichtshof auch das Argument ablehnte, dass das Verzeichnis auch nicht mangels fehlender Angaben zu Schenkungen zu korrigieren sei. Der Grund dafür war simpel. Die Klägerinnen beantragten in ihrer ursprünglichen Klage zwei getrennte Auskunftsansprüche: 1. Auskunft zum Nachlassbestand (Pflichtteilsanspruch) und 2. Auskunft zum fiktiven Nachlass (Pflichtteilsergänzungsanspruch). Nun wurde jedoch lediglich der Anspruch auf Auskunft zum Nachlassbestand mittels notariellen Nachlassverzeichnis anerkannt, so dass auch nur hierzu ein entsprechendes Teilurteil vorlag, welches vollstreckt werden konnte. Den Antrag zur Auskunft des fiktiven Nachlasses haben die Klägerinnen gerichtlich nicht weiterverfolgt, so dass sie dies auch nicht im Rahmen der Vollstreckung durchsetzen konnten.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zeigt eindrücklich das Spannungsfeld zwischen notariellem und privatschriftlichen Nachlassverzeichnis und gibt dennoch keine allgemeingültige Aussage darüber, ob das notarielle Nachlassverzeichnis vorzugswürdig ist. Letztlich kommt es auf den konkreten Einzelfall an, auf die Zusammensetzung des Nachlasses und auf mögliche potenzielle taktische Erwägungen, um die Frage privatschriftliches versus notarielles Nachlassverzeichnis zu entscheiden.
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Autor: Rechtsanwalt Dr. Daniel Elias Serbu